18-jährigen EU-Bürgern Interrail-Bahnpasse zu verschenken? Nein, danke!

photo-interrailIn den letzten Wochen haben wir einem neuen Vorschlag des Europäischen Parlaments zugesehen: der Unentgeltlichkeit des Interrail-Bahnpasses für alle Jugendlichen an ihrem 18. Geburtstag. Klingt toll, oder? Als erster Eindruck schon: wer möchte keinen freien Interrail-Bahnpass in seinem Briefkasten einfach kriegen? Niemand. Ich bin mir ganz sicher, viele von euch sich schon gesagt haben, es wäre doch eine wunderschöne Idee. Dasselbe habe ich am Anfang auch gemeint. Dann hat das EU-Parlament viele Werbung auf Facebook und Twitter gemacht. Zu viele. Und ich habe überlegt: das EU-Parlament wirbt normalerweise nichts, zumindest nichts seinen Ideen betreffend. Und plötzlich haben die Abgeordneten die beste Idee der Welt? Das kam mir eher komisch vor. Glücklicherweise habe ich also überlegt, habe mich erkundigt und bin zum Rückschluss gekommen, es ist in meinen Augen gar keine gute Idee. Hier ist der Grund.

Wovon sprechen wir denn hier? Ganz genau von der Unentgeltlichkeit des Interrail-Bahnpasses für alle Jugendlichen, als sie 18 werden. Bedingungslos. Es gibt dazu nichts mehr, und auch nichts weniger: die Sache ist leicht zu verstehen, vielleicht sogar zu leicht. Wieso wirbt es denn das EU-Parlament so viel, wenn es sich um eine leichte Idee handelt? Die einzige Antwort, an die ich denken kann, ist genauso einfach: die Abgeordneten sind sich nicht sicher, ob es wirklich eine gute Idee ist, und sie brauchen die Meinung und die Unterstützung der europäischen Völker. Etwas frei zu geben: was ist hier nicht zu mögen? Was könnte eine bessere Idee darstellen, als die Jugendlichen anzukaufen, um die Zukunft der europäischen Union zu versichern? Meine Antwort ist einfach: alles wäre besser. Das ist genauso wie es die Eltern mit ihren Kindern machen: „Wenn du mein Auto wäschst, das Haus staubsaugst, den Rasen mähest oder einfach den Tisch eindeckst, dann gebe ich dir zwei Euro“. Anders gesagt: eine Belohnung für einen Tat, den Kinder ohne Geld sowieso machen sollten. Mit diesem Vorschlag des EU-Parlaments geht es auch darum: wir geben jungen Menschen Geld, sodass sie uns mögen. Das kann doch nicht sein. Mit freiem Geld werden sie es nie lernen, wertvoll zu sein. Und darin besteht das Problem unserer gegenwärtigen Gesellschaft. Viele EU-Bürger wollen dafür nicht bezahlen, so dass die Jugendlichen in Urlaub fahren können! Es fällt vielen schwer, einen Job zu finden, und als sie einen Job endlich finden, dann müssen sie für den Urlaub anderer Menschen bezahlen?!? Wahnsinn! In Osteuropa kriegen viele einen niedrigeren Lohn als im Westen, viele können nie auf Urlaub gehen, viele haben es schwer, ihre Miete/ihre Rechnungen zu bezahlen, viele betrachten, die EU sei für die Mächtigen geeignet! Wissen diese Abgeordneten doch nicht, dass viele EU-Bürger es schwer und satt haben? Diese Idee kommt wie immer von den Reichen…

… Und richtet sich ebenfalls an die Reichen. Auf einige Facebook- und Twitterposts habe ich meine Meinung ausgedrückt, und ich verstehe doch nicht, wie man damit nicht einverstanden sein kann. Meine Zweifel sind einfach: einen kostenlosen Reisepass zu bekommen ist nicht genug, um in Urlaub zu fahren. Es gibt dazu die Unterkunft für zwei Wochen/einen Monat, die Lebensmittel (die im Urlaub immer teurer sind als zu Hause insofern als man oft auf der Straße iβt), die kulturellen Aktivitäten, die Transportkosten innerhalb einer Stadt, das Ausgehen, und viel mehr. Wer kann sich mit 18 Jahren solche Ferien leisten?!? Diejenige, deren Eltern ihnen Geld geben können! Und wer hat Geld? Weniger Leute als diejenige, die Geld haben! Auf diese Antwort haben mir einige gesagt: „Das stimmt doch nicht. Es gibt Couchsurfing, man kann sich daher die Unterkunftskosten sparen, in einem Supermarkt einkaufen, nicht ausgehen, gehen statt die U-Bahn zu nehmen, usw.“, und dazu antworte ich: „Es ist ihnen wahrscheinlich nie passiert, mit keinem Geld zu leben oder zu reisen. Wenn jemand 18 ist, dann würden kaum keine Eltern seine Kinder gehen lassen, wenn sie kein Geld haben, seine Gastgeber nicht kennen, und dazu im Ausland!! Niemand kann fünf Kilometer jedes Mal gehen, wenn man eine Sehenswürdigkeit sehen will, niemand will reisen, ohne Leute kennenzulernen und daher ohne auf ein Bier zu gehen“. Diese Antworte kommen wahrscheinlich von Leuten, die gar nicht wissen, wovon sie sprechen, die Geld haben und versuchen zu beweisen, dass auch arme Leute reisen können. NEIN, die sind arm. Dieser Pass würde nur den Leuten helfen, den schon Geld haben, den es sich schon leisten können, in Urlaub zu fahren, den es sich schon leisten können, einen Bahnpass zu kaufen. Also wieder diese Frage: was ist die Nützlichkeit, einigen Menschen einen Teil Ferien zu schenken, wenn diese Leute es sich schon schenken können? #NotWithMyMoney!

Und selbst wenn sie dazu fertig wären, so zu reisen, dann könnten sie nicht: wenn man kein Geld hat, dann ist man auf Arbeitssuche/arbeitet gerade, um Geld zu verdienen. Das heißt, diese Leute haben dazu keine Zeit, um zu reisen. Wenn man reiche Eltern hat, dann kann man natürlich verreisen: man braucht keinen Job und hat daher Zeit. Und sagt mir nicht das Gegenteil. Ich weiß sehr gut, wovon ich gerade rede: an der Uni wohnte ich in einem 9m² „Wohnung“, kriegte ein Stipendium und musste am Wochenende und während meiner Studentenferien arbeiten, um zu leben. Ich bin aber ein Franzose und bin mir bewusst, dass wir Möglichkeiten haben, die zum Beispiel ein Slowake nicht hat. Jetzt arbeite ich im Gebiet der internationalen Kooperation, habe genug Geld, um zu leben und zu reisen, aber ich möchte, dass meine Steuer für etwas Gerechtes gelten und keinesfalls, so dass reiche Kinder verreisen können! #NotWithMyMoney!

Dann kommt ihren zweiten Beweisgrund: eine Sprache und eine Kultur zu lernen und zu erfahren. Und dann sage ich: es ist doch unmöglich, eine Sprache/Kultur in einer Woche zu lernen/erfahren! Man kann kein Polnisch in sieben Tagen lernen, dann Deutsch in einer anderen Woche, usw. Noch einmal: Wahnsinn! Dafür gibt es außerdem das Erasmus-Programm, und da gibt es den Vorteil, dass man auch studiert und feste Kontakte knüpft statt bloß verreisen! Wieso würden wir denn einen Bahnpass brauchen?! Das sind bloß zweiwöchige Ferien! Nach den ersten Veranschlagungen würde diese Aktion ungefähr €2 Milliarde kosten. Auf der anderen Seite beschwert sich stets die EU davon, dass der Mitgliedsstaatenbeitrag zum EU-Budget nicht genug ist (1% des PIB der EU ist an das EU-Budget gewandt), und mit diesem 1% will sie solche Aktionen finanzieren? Dann glaube ich sogar, 1% ist schon zu viel! #NotWithMyMoney!

In Europa und in der Welt gibt es Armut, es gibt Kriege, es gibt Immigrationsprobleme, es gibt Arbeitslosigkeit, es gibt Terrorismus. Probleme und Prioritäten gibt es viele. Es tut mir Leid, aber den Reichen mehr Geld zu geben besteht keine Priorität. Es kommt mir echt schrecklich vor, dass so viele Menschen so denken. Jugendlichen zu verschenken wird nicht die EU retten, es kann nur immer mehr soziale Ungerechtigkeit herauskommen und die EU wird daher schneller versinken. Eine falsche gute Idee besteht es. Ich verstehe eben nicht, wie diese €15,000/Monat Abgeordneten denken können, dass es die Lage verbessern kann. In welcher Welt leben wir denn? Im Werbungsvideo des EU-Parlaments sagt der deutsche EU-Abgeordnete Ismail Ertug: „Grundsätzlich unterstütze ich alle Aktionen, die den jungen Leuten die Möglichkeit verschaffen, innerhalb der europäischen Union zu verreisen und mobil zu sein“. Was soll das denn sein? Das bedeutet, dass selbst wenn es sich um eine schlechte Idee handelt, dann ist er trotzdem dafür insofern als einige junge Menschen mobil sein können? Ohne weitere Überlegung? Und dafür bezahlen wir diese Abgeordneten, damit sie sich immer mit allem einig sein können? #NotWithMyMoney!

Die EU verstehe ich weniger und weniger. Natürlich besteht es immer noch kein Gesetz, sondern nur glücklicherweise einen (schlechten) Vorschlag. Aber diesen Vorschlag wird das EU-Parlament der Europäischen Kommission höchst wahrscheinlich vorschlagen, die dann damit ein Gesetz machen könnte. Viele antworten auf Facebook, dass es eine tolle Idee ist, aber ich verstehe doch nicht, wie man sich damit einig sein kann. Die Reichen doch, weil sie sich damit einen Bahnpass sparen können. Das wäre aber besser, den Armen Geld zu geben. Dafür würde ich gerne Steuer bezahlen.

Sehr geehrte europäische Union: bitte stoppt diesen Wahnsinn. Brexit, Korruption, Neoliberalismus, CETA-Abkommen, freier Interrail-Bahnpass, was das Jahr 2016 betrifft: in dieser Union der Völker erkenne ich mich weniger und weniger. Ich fühle mich europäisch – auch wenn ich mir nicht sicher bin, was das genau bedeutet – aber ich erkenne mich keinesfalls in dieser Organisation und ich fürchte außerdem mehr und mehr, dass sie nicht überleben wird, wenn wir so fortsetzen. Bitte denkt daran, was ihr gerade macht: mit unserem Geld zerstört ihr gerade die EU. #NotWithMyMoney bitte schön.